Aus /5/: Die zahlreichen, heute kontrovers geführten Debatten über ethische Anwendungsfragen bleiben diffus, solange man nicht deren Prinzipien klärt. Doch auch unter ihnen herrscht heute eine scheinbar unübersichtliche Fülle, die nicht wenige zum ethischen Relativismus und Skeptizismus geführt hat.
Moderne Ethikentwürfe sind angewandte Ethiken in Mischdisziplinen, die sich an lebenspraktische Fragen an technischen Machbarkeiten orientieren. Aus denen entwickeln sich vorwiegend fachspezifische Ethiken wie Bioethik bzw. Medizinethik oder wie Arbeits- bzw. Wirtschaftsethik aus sozialen Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Institutionelle Gründungen von Ethikkommissionen, Ethikräten, Sonderforschungsbereiche haben keine Klarheit in Grundsatzfragen erreicht.
Es wird sich zeigen, wie Beantwortungen in Prinzipienfragen überraschend Unterscheidungen und Urteile in ethischen Anwendungsbereichen erklären und entscheiden können. Denn Philosophie erschöpft sich nicht in einer Beschreibung von Phänomenen, erst recht nicht mit einer weltanschaulichen Deutung des Beschriebenen. Philosophie bemüht sich um Letztbegründung. Sie will nachweisen, dass die Bestimmungen der „ersten“ Bedingungen keiner Fundierung bedürfen. Sie sind unbedingt und werden weder bezweifelt noch hinterfragt. Denn Zweifel und Hinterfragen sind ebenso Urteile des bewussten Erlebens. Ein Widerspruch der Argumentation würde sonst zum Selbstwiderspruch.
Die
philosophische Ethik untersucht die Leitlinien personaler Verhältnisse auf der
Basis des Betrachtens menschlichen Personseins, der personalen Existenz.
Die philosophische Ethik ist deshalb anders als die theologische Ethik, die
abhängig ist von der jeweiligen Religion (wie vom christlichen Glaubensinhalt
im Sinne der Offenbarung Gottes gegenüber dem Menschen). Sie unterscheidet sich
ebenso von der Psychologie, die vom empirischen Verhalten der Betrachter
Schlussfolgerungen induziert. Philosophische Ethik ist allerdings offen für
empirische und religiöse Ethik, sofern es für das menschliche Personsein
relevant ist.
Philosophische
Ethik ist das prinzipielle Fundament für alle Ausprägungen aller moderner Ethiken
und empirischen Verhaltenswissenschaften, die ihre spezifischen Fakten in den
Vordergrund stellen.
Grundlage für alle Formen der unterschiedlichen Ethiken ist die philosophische Ethik
schlechthin aus dem Personsein prinzipiell heraus.
Die komplexe Situation eines Falles lässt sich ethisch in Ordnung bringen, sofern es gelingt, die wesentlichen Grundtypen der Ethik als Prinzipien zu formulieren.
Eine grobe Einteilung der Grundtypen der Ethik lässt sich aus ethischer Orientierung ableiten:
Die Deontologie ist weiterhin gekennzeichnet dadurch, dass das als sittlich gelten kann, was aus Einsicht (Vernunft) und Freiheit entsteht (Handlungs- und Regeldeontologie, nach Frankena). Handlungsdeontologie ist danach eine individuelle ethische Freiheitslehre, die auf den Einzelnen gerichtet ist. Diese Theorie kann nicht von praktischer Allgemeinheit normativ sein, weil sie sich bloß auf die Einzelsituation bezieht. Das sind praktische Gesetze als Grundlage des Handelns, wobei sog. Regeldeontologie zu unterscheiden ist: Rechtspflichten (allgemeingültige Normen, die mit Zwangsmaßnahmen befolgt werden müssen) und ethische Pflichten (durch eigene Einsicht selbst aufgelegte Pflichten). Die Person setzt sich selbst Gesetze aus eigener Initiative (Autonomie in Freiheit).
Das Prinzip der Sittlichkeit Kants äußert sich in
dem einfachen bedingungslosen „Kategorischen Imperativ“ (kategorisch als unbedingt):
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass
sie ein allgemeines Gesetz werde.“ /22/
Der kategorische Imperativ ist für Kant das allgemeine Sittengesetz. Das ist
ein formales Prinzip, denn er leitet daraus keine normative/gesetzgebende
Anwendung sittlichen Pflichten ab.
Kant gliedert die ethischen Zwecke in solche, die andere und sich selbst betreffen. Der sittlich Handelnde fördert das Wohl und das Glück der anderen. Ist sein sittliches Handeln auf sich selbst betroffen, kann er die eigene Vollkommenheit ausbilden und erzeugt dadurch dauerhaftes Glück. Er soll glückselig sein im Sinne dieser Vollendung. Das ist das Grundgesetz in der sittlichen Welt Kants. Das höchste Gut der Sittlichkeit Kants ist der Gerechtigkeitsgedanke.
Im Sittengesetz erscheint dieser Gedanke zwar als logisch-strukturelle Konsequenz einer „Autonomie moralischer Urteilskraft“ des erkennenden Subjekts. Rein philosophisch betrachtet wird jegliche Heteronomie zurückgewiesen, so dass selbst Gott nicht erwähnt wird. Allerdings treten die intuitiv gewonnenen „Maximen“ praktischer Vernunft dem erkennenden Subjekt so unerbittlich gegenüber, als seien sie von Gott gegeben; und dass dies so sein könne, schließt Kant auch gar nicht aus, sondern hält es überhaupt für philosophisch nicht darstellbar.
Beim Utilitarismus wird die Sittlichkeit vom angestrebten Zweck bestimmt, heißt: der Nutzen bestimmter Handlungen lässt sich zweckspezifisch bemessen. Handlungsutilitarismus (nach Frankena) bedeutet: Zweck ist das größtmögliche Glück der meisten, das als ein unmittelbares Prinzip der Handlungen des einzelnen sein soll. Es gibt zweckspezifische Faustregeln (Maxime) zu Handlungen in verschiedenen Situationen. Deshalb muss der Handelnde „voraussehen“, wie weit er gehen kann, wie er eine Konsistenz zum Gesamtzweck aller meisten erreichen kann. In der praktischen Umsetzung ist der Handlungsutilitarismus nur schwer zweifelhaft zu entfalten. Der Regelutilitarismus erreicht Sittlichkeit durch den höchsten Zweck der meisten, in den auch das eigene Glück einbezogen ist. Solche Regeln sind bloß hilfreiche weltkundige Richtlinien (Kant nennt die Regeln: „Ratschläge der Klugheit“) unter den Bedingungen des höchsten Zweckes.
Die derart zweckgeleitete Ethik lässt offen, ob ein gesunder Egoismus oder ein selbstloser Altruismus für das Handeln maßgebend wird. Die Schwierigkeiten des Utilitarismus bestehen in der neutralen Zwecksetzung, die „das größte Glück der meisten“ anstreben soll. Die neutrale Bestimmung birgt zudem Konfliktmöglichkeiten für die universal geltenden Menschenrechte. Hier sind Ausgrenzung und Abschottung leicht möglich. Denn wer sind die meisten? Das eigene Volk, die umspannende Weltbevölkerung? Durch das Glück der meisten kann auch ein Euthanasie-Problem für Alte, Behinderte und Arme innerhalb einer Gesellschaft entstehen.
Anders als der derzeitige Utilitarismus sollte sich Aristoteles’ Eudämonismus nicht vom ökonomischen Zweck oder anderen Zwecken abhängig machen, sondern Glück „in sich“ selbst finden. Kant kritisiert diesen Eudämonismus, weil unterschiedliche Inhalte nicht für jedermann gleichermaßen zu verallgemeinern sind.
Die
Tugendlehre beruht auf der „Ideenlehre“ Platons. Die Seelenvermögen werden
spezifisch psychologisch begründet: Weisheit gründet in der Vernunft,
Tapferkeit gründet im Mut, Besonnenheit gründet im Begehrensvermögen und die
Gerechtigkeit umfasst alle vorherigen Tugenden: Die Gerechtigkeit setzt die
drei anderen in ein bestimmtes harmonisches Verhältnis, wodurch sie die je
eigene Qualität/spezifische Bestform (gr. arete) erhalten.
Die Ethik als Tugendlehre ist heute weitgehend unbekannt und kaum praktiziert.
Sie wird deshalb nicht weiter behandelt im Zusammenhang mit der
Organtransplantation.