17. Heiterkeit durch Lebenskunst
Aus dem „Leben im Gleichmaß“ entsteht Heiterkeit, meint Demokrit im 5.
Jh. vor Chr. Heiterkeit ist eine Befindlichkeit, eine Stimmung, in der man sich
gut befindet und sich frei und unbeschwert fühlt. Man empfindet eine ausgewogene
Balance aller Komponenten des Menschseins – des Körper, der Seele und des
Geistes. Alles „schwingt“ miteinander, obschon die Balance im Alltag
unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt ist. Aber negative Einflüsse wie
Traurigkeit oder Misslichkeiten sollten die Heiterkeit nicht einebnen, im
Gegenteil: Man sollte die Widrigkeiten ertragen und trotzdem heiter bleiben. Die
bewusste Einstellung des Gleichgewichts durch ein harmonisches Gefüge des
Erlebens erzeugt eine maßvolle Disposition des Gemüts. Heiterkeit ist nicht
dasselbe wie Fröhlichkeit. Fröhlichkeit ist ein Affekt, Heiterkeit jedoch eine
asketische Haltung.
17.1. Lächeln, Heiterkeit, Weisheit
Heiterkeit entsteht aus dem Gleichmaß aller Komponenten des Erlebens.
Heiterkeit erzeugt Offenheit und Freiheit, die sich als eine Haltung im Denken
und Handeln zeigen. Diese heitere Haltung reflektiert auch in Gelassenheit.
Seneca spricht von „gelassener Heiterkeit“. Er spricht zudem von der
„Seelenruhe“, von der Ungetrübtheit und Ausgeglichenheit der Seele und somit des
bewussten Erlebens. Diese Eigenschaften sind nicht zu verwechseln mit Passivität
und Quietismus. Die „innere Ordnung“ bedeutet laut Hadot wohl eine organisierte, ausbalancierte und fest
gefügte Seele des Selbst und geht der Heiterkeit voraus.
Die Seele vermag vieles hinzunehmen und vieles auszugleichen. Um
Probleme tragen und ertragen zu können, muss man seiner selbst mächtig sein.
Selbstmächtigkeit erreiche ich, wenn ich mir klar darüber bin, was in meiner
Macht steht und was nicht. Das Selbst soll sich offen für andere und anderes
halten. Allzu heftig an gewissen Gegenständen der Welt zu hängen, ist trotzdem
zu vermeiden.
Das maßvolle, „schlanke Leben“ bietet weniger Attacken des Schicksals
und lässt sich kaum durch Zufälle und Widrigkeiten überraschen. Das Selbst weiß
um seine Endlichkeit und hat keine Angst vor dem Tod. Um die antike Bedeutung
der Heiterkeit im Rahmen der Lebenskunst in der Moderne wieder fruchtbar zu
machen. Denn Heiterkeit bedeutet nicht Fröhlichkeit, sondern Ausdruck
erfüllten Lebens. Fröhlichkeit ist ein Affekt, dem die Distanz fehlt,
Sachverhalte regelhaft zu ordnen. Ausdruck der Fröhlichkeit ist das Lachen. Es
kann penetrant sein und die Heiterkeit verfehlen. Fröhlichkeit ist töricht,
sofern sie ohne zureichenden Grund ist.
Das Lächeln beherrscht die affektgeladene Grimasse und die
„Katastrophenreaktion“ des Lachens und Weinens. In den Explosionen des Lachens
und Weinens manifestiert sich der Verlust der Selbstbeherrschung als Bruch
zwischen der Person und ihrem Körper. In den Affekten zeichnen sich ungebremst
jähe Freude durch Erregung ab. Im Lächeln zeigen wir dagegen Regung, verleihen
einer Sache im Spielfeld unseres Gesichtes Ausdruck. Das Lächeln enthält sich
der Eindeutigkeit eines Urteils. Die Vieldeutigkeit der Heiterkeit kann offen
lassen, ob ein Geschehen „positiv“ oder „negativ“ zu bewerten ist.
„Lachend und weinend ist der Mensch das Opfer seines Geistes, lächelnd
gibt er ihm Ausdruck“, meint Helmuth Plessner. Das
Rätsel der Mehrdeutigkeit spielt im Gesicht wie die Rätselhaftigkeit der
Gioconda. Der auf diese Weise heitere Mensch erscheint wie ein Kunstwerk des
Lebens. Plessner sagt auch, dass „im Ausdruck die Grenze zwischen
natürlicher Gebärde und andeutender Geste fließend ist. Natur wird – Kunst. Die
spontane Symbolik des Leibes wird zur Allegorie“. Die
Luzidität
des Lächelns aufgrund von Heiterkeit verrät seine Höhe, den Adel der Menschheit.
„Das Spiel der Gelöstheit auf dem Gesicht des Säuglings, der Adel friedlicher
Heiterkeit in den Zügen des Toten sind ebenso wenig gewollt. Sie künden sie“, so
Plessner.
Lächelnde Heiterkeit aus Weisheit (heitere Haltung aus „innerer
Ordnung“ erkennen, Balance entsprechend „Seelenruhe“ nach Seneca,
Introvertiertheit vermeiden, sich an gewisse Gegenstände der Welt nicht hängen,
melancholische Schwermut oder Traurigkeit vermeiden, wenig Angriffsfläche für
Attacken des Schicksals bis hin zum Tod nicht schrecken, statt lachen und weinen
mit „Heiterkeit“ lächeln) wird bewertet, kommentiert und optiert, um die
Lebensführung „schön“ zu gestalten.
17.2. „Erfülltes Leben und Heiterkeit“ in der Antike zu „Lebensqualität und Erfolg“ in der Moderne
Die antike Bedeutung „Heiterkeit und erfülltes Leben“ wird in der
Moderne durch „Lebensqualität und Erfolg“ ersetzt.
Die Heiterkeit eines balancierten erfüllten Lebens zeigt sich dort,
wobei man sich von der endlichen „Erdenschwere“ befreit fühlt, ohne die Probleme
und „Abgründe“ zu ignorieren. Sie resultiert aus den Höhen und Tiefen
gleichermaßen. „So erst wird das ganze Leben zum Fest“, sagt Wilhelm Schmid, wo
selbst bei „tiefen“ Abgründigkeiten zum Leben Ja gesagt wird. Gerade dann, wenn
das Leben schwer wird, ist die Heiterkeit erleichtert, wenn die Tragik weder
leugnet noch durch Optimismus einebnet.
Der optimistische Fortschrittsglaube der Moderne ignoriert eine
Heiterkeit der Antike. Denn die Heiterkeit kommt vor dem Erfolg. Man
meint heutzutage im Allgemeinen, heiter und ausgelassen sein zu müssen,
wenn ein Problem gelöst wurde. Das Gegenteil ist richtig. Die Heiterkeit trägt
als Voraussetzung zum Lösen von Problemen und Erreichen von Zielen bei. Eine
heitere Stimmung bringt Energie, eine schlechte Stimmung dagegen verzehrt Kraft.
Heiterkeit ist keine Schwäche, sondern ein Beweis von Souveränität. Wer
heiter ist, steht über den Dingen. Er beherrscht die Situation, nicht sie ihn.
Ein heiterer Mensch wirkt vital, stabil und sympathisch.
Heiterkeit erzeugt Glück im „Augenblick“, in der Gegenwart. Die
heutigen Menschen wollen durch Vergnügungen glücklicher werden, wenn
Vorstellungen geplant und erwartet wird. Paul Claudel entgegnet: „Der Mensch ist nicht zum
Vergnügen, sondern zur Freude geboren.“ Anders als in der Vergnügung, in der es
um die bloße Befriedigung von Wünschen kurzfristig geht, soll die Freude
das ganze Leben durchdringen. Sie soll den Menschen bei seiner alltäglichen
Arbeit begleiten, in allen Lebensjahren und Lebenslagen, in guten und in
schlechten Zeiten. Denn Vergnügen vermag nicht das zu stiften, worauf der Mensch
angelegt ist: Sinn.
Heiterkeit aus Freude ist also die „praktische Alltagsform“ eines
wertvollen Glücks in der Gegenwart. Denn wer sich gerade heiter fühlt und
gelassen ist, befindet sich in einer Verfasstheit, die sich kaum übertreffen
lässt. Seneca schreibt dazu: „Der Weise freut sich der Gegenwart und ist nicht
von der Zukunft abhängig.“ Und Goethe dichtet: „Dann ist Vergangenheit
beständig, Das Künftige voraus lebendig, Der Augenblick ist Ewigkeit.“ Frohe
„Augenblicke“ kommen ungeplant und unverhofft.
Man sollte lieber Kraft schöpfen, um dann zum geeigneten Zeitpunkt
handeln zu können. Präventiv sollte man prüfen, bei welchen Ereignissen man
regelmäßig in eine schlechte Stimmung gerät, und anschließend überlegen, wie
diese Situationen vermieden, verbessert oder ertragen werden können so, dass die
Heiterkeit anhält. Wenn jemand grübelt, jammert und klagt, macht er nicht
nur sich selbst das Leben zur Hölle, sondern stellt zudem eine Strafe für die
Umwelt dar.
Man sorge also für eine heitere und offene Atmosphäre. Die Atmosphäre
befördert die sachgerechte Verständigung untereinander. Mehr Leichtigkeit im
Verhalten vermittelt als mimischer Ausdruck das Lächeln. Es motiviert das
Zusammenleben und die Synergie mit anderen. Mehr Liebenswürdigkeit als in einem
Kompliment, Dank oder einer charmanten Bemerkung liegt in der Qualität, die
Stimmung des Partners zu verbessern und ihn dazu zu bringen, sich zu
revanchieren.
Mit Heiterkeit zu Lebensqualität und Erfolg (Heiterkeit eines erfüllten
Lebens realisieren, ohne die Widrigkeiten zu ignorieren oder das Leben mit Reue
zu belasten, eine heitere Stimmung ermöglicht Erfolg und Lebensqualität,
Heiterkeit zu Souveränität führen, der Mensch ist zur Freude geboren, nicht zum
Vergnügen, programmierte Vergnügungen kritisch wahrnehmen, bei Überraschungen
Freude verspüren, Stimmungsaufheller suchen, Situationen vermeiden, die zu
schlechter Stimmung führen, das Zusammenleben durch lächelnde Heiterkeit
erleichtern) wird bewertet, kommentiert und optiert, um die Lebensführung
„schön“ zu gestalten.