10.    Lebenskunst durch Ironie

 

Die einfachste Form der Ironie besteht darin, das Gegenteil dessen auszudrücken, was man normalerweise mit Geltungsanspruch vermeint wird. Derjenige, der einen Geltungsanspruch erhebt, geht davon aus, dass das Gesagte stimmt und durch andere bewährt werden kann. Versteht der andere das Gesagte dagegen als Ironie, macht er sich sozusagen zum Komplizen dessen, der etwas ironisch zum Ausdruck bringt.

Wenn alles ironisiert wird, besteht die Gefahr, dass überhaupt keine Realität mehr ernst genommen wird. Versteht man eine Äußerung nicht als ironisch, setzt man sich dem Verdacht aus, nicht klug genug zu sein, um den Widerspruch zwischen dem Ausdruck der Ironie und einem Geltungsanspruch zu erkennen.  Ironie ist nur aus dem Kontext heraus verständlich. Wer damit rechnet, dass seine Ironie nicht verstanden werden könnte, wird das, was er sagt, durch einen besonderen Gesichtsausdruck oder Gesten begleiten, damit der andere die Ironie erkennt.

Derjenige, der die Ironie versteht, vertraut dem Ironiker in der Regel. Sie kommunizieren gewissermaßen in einer „Geheimsprache“, obwohl die Ironie nicht eindeutig ist und keine Erklärung und Begründung bereithält.

10.1.    Ausdrucksmittel der Ironie durch Kunst

 

Die Ironie kann mit dem ästhetischen Urteil eines Kunstwerks verglichen werden. Durch Ironie zeigt sich die Welt fiktiv erneuert. Es relativiert sich das rationale Faktische  der realen Welt. Aus der Distanz heraus erlaubt die Ironie eine reflexive Rückwendung auf sich und kann so philosophisch zur Lebenskunst beitragen. Friedrich Schlegel verfolgt die „Vereinigung von Lebenskunst und wissenschaftlichem Geist“ und betrachtet die Ironie als die „eigentliche Heimat“ der Philosophie. Ironie führt das Unhaltbare sprachlich vor, zerrt das Ungenügen ans Licht und macht Über- oder Untertreibungen durch „symbolische Fortsetzung“, bspw. durch mimische und gestische Ausdrucksmittel, sichtbar.

In der Selbstironie spiegelt sich eine kritische, spielerische Haltung gegenüber dem eigenen Standpunkt wider. Der Mensch ist hier nach Kierkegaard „verzweifelt“, weil er mit sich selbst nicht im Reinen ist. Er bedient sich der Ironie als Mittel. Indem er sich zu sich selbst ironisch, also distanziert verhält, gewinnt er einen höheren Standpunkt, von dem aus er seine Verzweiflung erkennt und nun versuchen kann, sie zu überwinden.

Ähnlich wie im ästhetischen Prinzip sind in der Ironie unendlich viele verschiedene Standpunkte möglich. Wechselnde Standpunkte bedeuten sich verändernde Perspektiven. Durch die Änderung des vermeintlich einzigen Standpunktes, den jemand mit Geltungsanspruch als die einzige Realität behauptet, wird er sich bewusst, dass die Realität in Wahrheit noch eine andere sein kann. Wie beim ästhetischen Prinzip entzieht sich das Selbst ihrem Zwang und räumt sich die Weite eines Spielraums und damit Freiheit ein. Der Ironiker verzichtet auf die definitorische Fixierung der Gegenstände und spielt mit ihrer sich dem Begriff entziehenden Mehrdeutigkeit.

Alternative Anzeigen sind stattdessen die Lautmelodie (Prosodie), eine begleitende Geste oder Mimik, die eine Doppeldeutigkeit hervorrufen, die in der Schriftsprache wieder verschwindet. Die Wirkung der Ironie benötigt weder eine Begründung noch eine Erklärung der Bedeutung. Das Selbst möchte sich in der ästhetischen Einstellung der grundsätzlichen Vieldeutigkeit eines Sachverhaltes bewusst sein, sodass es sich in der vereinzelten Einmaligkeit des Ironikers und des Hörenden niemals erschöpft.

Ausdrucksmittel der Ironie durch Kunst (ironisch ausdrücken ein Problem zur Befreiung, Über-/Untertreibungen durch mimische und gestische Ausdrucksmittel, eigene Haltung kritisch, spielerisch bzw. ironisch einnehmen, spielt mit der Mehrdeutigkeit) wird bewertet, kommentiert und optiert, um  die Lebensführung durch die Ironie „schön“ zu gestalten.

10.2.    Modi der Ironie

 

Eine alternative Position und das widersprüchliche Urteil werden nur zum Schein übernommen, um die eigentliche Position zu überzeichnen.

Die Untertreibungen der Sokratischen Ironie verdecken die „Überlegenheit im Schein der Unterlegenheit“, wie K. Reinhardt schreibt. Sokrates verbirgt die eigene Meinung durch die Kunst des Fragens und bereitet im Dialog mit seinen Schülern argumentativ den gemeinsamen Konsens vor.

Durch das ästhetische Prinzip der Mehrdeutigkeit kann Ironie als alternatives Urteil und Verhalten zum Ausdruck kommen. Nur so können auch Brüche, Unsicherheiten und Inkonsistenzen zusammen- und ausgehalten bzw. eigene Widersprüche, Lügen, Schwächen und Eitelkeiten ironisch aufgewiesen werden.

Die geläufige Form ist die rhetorische Ironie, die spielerisch mit Worten zum Ausdruck kommt. Man kann durch die feine Anspielung eine dünkelhafte Süffisance erreichen. Im Gegensatz dazu steht die Grobheit und Direktheit des Sarkasmus.

In Form der anthropologischen Ironie wird die Ironie der Existenz inne, dass eine Unterscheidung zwischen ihrem Anspruch und ihrer Wirklichkeit besteht. Die Ironie bietet die letzte Hoffnung zu einer Überbrückung der Kluft.

In der metaphysischen Ironie begnügt sich der Ironiker mit der Feststellung, dass alles, was ist, auch anders sein könnte. Dadurch wird bedeutet, dass eine Erkenntnis nicht die letzte Wahrheit darstellt, weil Welt als ein offenes System erscheint.

Dies mündet in die gnoseologische Ironie, wonach das Wissen überhaupt ungewiss ist. Ein Ironiker wie Sokrates weiß, dass er nichts weiß, dass er keine letzte Gewissheit hat.

Die Gefahr der Ironie besteht darin, dass alles ironisiert, also keine Realität mehr ernst genommen wird. Kierkegaard spricht vom „Untergang der Wirklichkeit“, weil „die Ironie das unendliche leichte Spiel mit dem Nichts“ handhabt. Eine Rede kann kaum seriös geführt, eine Haltung kaum ohne Halt eingenommen werden, wenn nichts bejaht wird, sondern alles sich auflöst. Eine derart wahllos geübte Ironie, die sich ungezielt und immer gegen alles und jeden wendet, ist eine Wirkung, die von den anderen irgendwann ignoriert wird.

Modi der Ironie durch Kunst (Bekräftigung der eigenen Position durch Ironie, Untertreibung der Sokratischen Ironie, um Überlegenheit zu verberge, Sarkasmus, Gefahr der Ironie, dass überhaupt keine Realität mehr ernst genommen wird) wird bewertet, kommentiert und optiert, um  die Lebensführung durch die Ironie „schön“ zu gestalten.